SEGEBERGER BRIEFE No. 98, Jahrgang XXXVI, 1/2019, Februar: Zeitschrift für Kreatives Schreiben
Katharina Pinosova-Ruzickova
„three poems“ – drei Solostücke für Blockflöte
(nach Gedichten von Sonja Viola Senghaus (Blick; Unentrinnbar; Vor dem Frühling)
Mieroprint Verlag EM 1270, Münster 2018
Zwei Silben „un“. … bar“, dazwischen all das, was Leben verspräche, Stühle, Tisch, Bett, die verrück- antast-, benutzbar sein könnten: Immobiles Mobiliar. Dazu im Notenbild zwischen zwei Tönen alternierende Tremoli, aufgestautes Beben, sich dem Textvorbild anverwandelnd. Erst die Bassblockflöte, dann Tenor- und Altflöte in den Folgesätzen, eine Musik für Flöte allein, ohne Worte also – Musik spricht für sich; Gedichte haben ihren eigenen Klang. Sie korrespondieren, haben sich etwas zu sagen, aber ganz geht die Gleichung nicht auf. Zwischen zwei Tönen, im Satzmittelteil, windet sich in 7/8-, 5/8-Taken, in minimalen Erweiterungen fluktierend, eine quälende Floskel, wie um, umsonst, die Fesseln zu sprengen. Die Dreiteiligkeit des Satzes folgt nicht dem Strophenkonzept des Gedichts, sondern verzichtet auf die schlussfolgernde Coda, worin Lebensvergeblichkeit in der Unwiederbringlichkeit des „Ungelebten“ kulminiert.
Im Eingangsstück zuvor wechseln sich Kurz- und Langzeilen von unregelmäßiger Takt- bzw. Silbenanzahl ab, lassen winterlich-nebelverhangene Hügellandschaft erahnen. Mit lautmalerischen Mitteln wendet sich die Musik den Unwegsamkeiten des Geländes zu: Sputato-Stolpersteine, oszillierende „Silberschleier“, Glissandi stehen für „Absurzgefahr“.
Das Abschlussstück Vor dem Frühling wählt kleinteilig-schmeichelnde Gesten („streichelt mich mit Zauberhänden“), durchsetzt mit spitzen Staccato-Nadeln, „begrünte Eisblumen“ über weite Strecken diatonisch-hoffnungsfroh.
Alle three poems sind Etappen einer“ literarisch-musikalischen Winterreise“, unter diesem Motto wurden die Stücke am 17.12.2017 in der GEDOK-Galerie in Heidelberg von Almut Werner Werner, Wiesloch, uraufgeführt.
Isa Rühling, (Blockflötistin, Komponistin, Schriftstellerin)
Vertonte Gedichte
Unentrinnbar
Du lebst
auf unverrückbaren Stühlen:
an unantastbaren Tischen
in unbenutzbaren Betten
du atmest
an unbelebbaren Orten
in unbewohnbaren Räumen
in unentdeckbaren Winkeln
du denkst
an unüberbrückbare Stunden
in unabwendbaren Tagen
zu unabdingbaren Zeiten
du weißt
das Ungelebte
ist unwiederbringbar
Vor dem Frühling
Der Winter
mein Verbündeter
streichelt mich
mit Zauberhänden
Heute flechte ich mir
begrünte Eisblumen
ins Haar
Blick
Nebelverhangen
der Blick zu weiten Hügeln
Gipfellust
eingeschlossen im Berg
An kahlen Hängen
Silberschleier
Auf unwegsamen Pfaden
Absturzgefahr
Blut im Schuh
festgefroren im gleichen Tritt