Klangbilder

Samstag, 05. April 2014 
Speyer: Kultur Regional

Von schönen und müden Frauen

Jazzduo Jutta Brandl und Martin Preiser gestaltet „Klangbilder“-Konzert im Speyerer Purrmann-Haus

Zwei weibliche Akte haben im Mittelpunkt eines Konzerts gestanden, mit denen das Jazzduo Jutta Brandl und Martin Preiser am Donnerstagabend die Reihe „Klangbilder“ im Speyerer Purrmann-Haus fortgesetzt hat.

„Bildpatin“ des sehr gut besuchten Konzerts war die Lyrikerin Sonja Viola Senghaus.
Die Bilder entstanden 1910 in Paris, als Mathilde Vollmoeller und Hans Purrmann die „Académie Matisse“ besuchten. Sie waren bereits befreundet, aber noch nicht verheiratet. Vollmoeller malte eine nackte Frau in blaugrauen Farbtönen. Der Betrachter erfährt eine Menge über sie: kein Mädchen mehr, aber noch lange nicht alt, kräftig gebaut, die Faust in die Hüfte gestemmt, den Kopf gesenkt. Sie kann zupacken, eine Arbeiterin, hat sicher Kinder, das Geld fürs Modell stehen kann sie gut gebrauchen.

Purrmann malte einen Traum in den delikaten Farben Türkis, Gelb und Rosé: eine schlanke weibliche Figur auf einem Podest, aufrecht mit leicht erhobenen Armen, dem Betrachter zugewandt. Es ist dieselbe Frau, eine Pariser Wäscherin.

„Bildpatin“ Sonja Viola Senghaus hat die Bilder auf sich wirken lassen und Worte dafür gefunden, die sie am Donnerstag jeweils dem Künstler, dem Betrachter und dem Bild selbst in den Mund legte. Demnach zeige Vollmoellers Akt „eine vom Leben gezeichnete, müde gearbeitete Frau“.

Jazzsängerin Jutta Brandl hat ebenso genau hingeschaut und Töne dafür gefunden. „Diese Frau hat den Blues gelebt“, sagte sie zum gleichen Bild und sang im ersten Teil des Konzerts traurige, „bluesige“ Lieder wie „The Meaning Of The Blues“, „Lush Life“, „I Can’t Make You Love Me“ und „Autumn Leaves“. Sie alle sind melancholische Jazz-Standards vom Ende der Liebe, dem Verlassen werden – Lieder, die in eine Bar nach Mitternacht passen zu Leuten, die nicht in ihre leere Wohnung wollen.

Ganz andere Gedanken weckte das zweite Bild: Senghaus sah eine leblose, majestätische Skulptur, keine lebendige Frau. Brandl hingegen dachte bei den heiteren, luftig-leichten Farben an Duftigkeit, Bewegung und eine schöne, glückliche Frau. Ihr sang sie Lieder von neuer Liebe und Glück: „Tenderly“, „Someday My Prince Will Come“, „My Romance“ und „When I Fall In Love“. Jutta Brandl setzte ihre eher dunkle, warme Stimme ein wie ein Instrument. Entsprechend viel Raum nahm der reine Silbengesang ohne Worte und mit fließenden Übergängen bei ihr ein.

Nicht unbedingt der scharfe Scat in schnellen Rhythmen ist Brandls Stilmittel, eher raffinierte, lange Tonfolgen mit komplizierter, aber weicher Rhythmik. Martin Preiser erwies sich als idealer Partner zu dieser Art von Gesang. Er schuf ein Klangbett, setzte Akzente und verschärfte die Rhythmik.

Bildpatin Sonja Viola Senghaus:

Zwei Bilder

(zu „Stehender Akt“ von Hans Purrmann
und Mathilde Purrmann-Vollmoeller, Paris, 1910)

Zwei Bilder
ein Motiv

zwei Bilder
sprechen

  1. Neutrale Bildbetrachuntg

  2. Der Künstler/die Künstlerin sprechen.

  3. Eine Kunstbetrachterin spricht.

  4. Das Bild, das Motiv spricht.

 

Mathilde Purrmann-Vollmoeller,
im Reisepass Kunstmalers Ehefrau genannt,
hat ihr Aktmodell als Studie in seiner Befindlichkeit gemalt, mit kräftigen Oberschenkeln und gesenktem Blick. Eine starke Frau, vom Leben gezeichnet, weit entfernt vom klassischen Schönheitsideal. Ungeschminkt die Haltung und Mimik dieser unterprivillegierten Frau. Die Farben dezent, Frau und Schattenin denselben Farbtönen gehalten.

Kunstmalers Frau
(für Mathilde Vollmoeller-Purrmann)

Was ist behalte
– Wie die Bilder leuchteten! –
habe ich verloren.

Was ist verschenkte
– In Flammen stand ich! –
habe ich noch.

Was ich versagte
– Als die Farben verblassten! –
daran trage ich Leid!

Frau in Farbe getaucht

Müde
gebeugt
verhärmt

unverstellt

allein
mit ihrem Schatten

Die Wäscherin

Nackt
ihr Körper
schwielig die Hände
vom Wäsche waschen
so rot so rau

und die Wäsche so weiß

starr
ihr Körper
klamm die Hände
beim Wringen der Wäsche
so weh der Rücken

und die Wäsche so weiß

müde
ihr Körper
heiß die Hände
beim Glätten der Wäsche
so glühend so schwer

und die Wäsche so weiß

straff
ihr Körper
offen die Hände
beim Klang der Münzen
so hell so rein

und die Wäsche so weiß?

Hans Purrmann, Meister der Farbe,
hat das Aktmodell wie eine klassische Skulptur in den Raum integriert.
Wie ein Möbelstück, so leblos, wirkt auch die Figur.
Matisse folgend, hat er die Arme  wie die Äste eines Baumes
nach oben gerichtet. Das Modell, eine Wäscherin, wirkt dadurch
nahezu majetätisch.
Alle Farben im Raum sind harmonisch angeordnet.
Das Zusammenwirken von Farbe, Ton und Kontrast scheint ihm
wichtiger als der Inhalt.

Die Kunst des Malers
(für Hans Purrmann)

Nichts Verträumtes
nichts Verlorenes
nichts Abgestorbenes
nichts Verworfenes

Farbe
nichts als Farbe
die reine die schöne
Natur

Darin liegt die Kunst!

 

Unbelebtes Objekt

In Raummitte
auf Sockel
gestellt

mit Schrank
und Spiegel
umstellt

auf Leinwand
mit Farbe
erhellt

einem Baume
gleich und doch
entseelt

Mittelpunkt
oder
nur Mittel?
Punkt.

Frau im Raum

Ruhig und aufrecht stehn
Arme ausbreiten
linkes Knie nach vorn
Brüste raus
Bauch einziehn
nicht denken

an die neidischen Blicke
der Weiber
die mit mir Tag für Tag
in der Waschküche stehn
und sich den Mund zerreißen
über das was ich gerade tue

Wer kann schon
mit Wäsche waschen
die vielen Mäuler daheim stopfen
und der Alte ist nie da
der wird’s mit ’ner anderen treiben
und ich steh‘ hier nackt

Als ob es mir leicht fiele
das Ausziehen der Röcke
das Entblößen der Brüste
vor so einem Herrn
aber die Stube ist warm
und die Kinder werden satt

Neben mir der Schrank
hinter mir der Spiegel
auf dem Sockel
die nackte Frau:
Bin ich das?

 

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