Was ist ein Gedicht?

“Das Gedicht ist zur Ruhe gekommene Unruhe”

(Rainer Kunze)

Das Gedicht ist die literarische Form, die aus der Lust entspringt so oft wie möglich von vorn zu beginnen. Das Schreiben als „Wegkreuzung der Traumillussionen“ ist Magie in einer der Alltagssprache abweichenden Sprache.

Nicht nur subjektiv, also ein Schreiben für mich selber, sondern, wie Kafka sagte, umgeben von Stimmen und Geistern, den Stimmen der Verborgenen, deren Dasein an verschiedenen Stationen des Schreibens mit ins Leben gerufen wird.
Schreiben ist Ausdruck einer anderen Wahrnehmung, ein Sich-Erinnern, ein Sich Herantasten.
Der Einfall, die Inspiration, lassen die Konzentration und ein Sich Versenken gleichzeitig im dichtenden Menschen stattfinden.

Dem Schreiben geht meistens eine intensive Spannung voraus. Zum einen ist es  das eigene Erleben im Alltag, sind es Träume, Erwartungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, zum anderen das Einfühlen in den Erlebnisraum anderer Menschen und Situationen, was das Schreiben zu einem kommunikativen und sozialen Prozess macht.
Das Gedicht zeigt einen seelischen Innenraum. Es kommt dabei auf Inhalt, Aussage und Sprache an. Der Dichter sollte dem Gedicht auch etwas Eigenes geben.
Poesie bedeutet im Französischen, dem Gefertigten eine Stimmung, einen Zauber  verleihen: des Mittels und Mediums der Sprache. Damit ist auch gleich eines der wesentlichen Merkmale der Dichtung genannt, ein Kriterium, durch das sich Dichtung oder Poesie entschieden von anderen künstlerischen Ausdrucksweisen abgrenzt, etwa von der Malerei, die es mit Farben und Formen zu tun hat, oder von der Musik, deren künstlerische Materialien Töne, Klänge und Rhythmen sind. Das soll nicht bedeuten, dass Rhythmen, Töne und Farben in der Dichtung keine Rolle spielen.
Nur sind sie hier ausschließlich an Wort und Sprache gebunden.

Der Dichter will Erlebnisse anschaulich machen, sich durch Sprache mitteilen.
Die Mehrzahl der Dinge, die er zur Sprache bringt, Fragen, die er aufwirft, Probleme, die er zur Diskussion stellt, sind alt wie die Welt. Indessen dadurch, dass er sie unter neuem Blickwinkel, in neuem Licht, unter neuen Aspekten, die der Zeit, in der er lebt, ihm eingibt, vorstellt, bekommen sie neues Gewicht, gehen wieder an, erregen wieder, fordern heraus.

„Es gibt Verse, die man findet. – Die anderen macht man. –
Man vervollkommnet diejenigen, die man findet. –
Die anderen ’naturalisiert‘ man.“ (Paul Valéry).
Man schreibt aber nicht nur das, was kommt, nämlich im Suchen, Finden und Machen, man schreibt auch, was man schreiben möchte, im Planen und Konstruieren.
Die wichtigste Feststellung aber, die Horaz im Blick auf Literatur machte, war,
dass die Dichter, entweder „nützen“ (prodesse) oder „erfreuen“ (delectare) wollen.

Sonja Viola Senghaus

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