Poesie zischt wie Gischt

Rhein-Neckar-Zeitung, Samstag/Sonntag, 21./22. August 2010, Nr. 192, S. 15, Feuilleton

„Poesie zischt wie Gischt“

Sonja Viola Senghaus stellte in der Heidelberger Stadtbücherei ihren Gedichtband „Sprachruder“ vor.

Von Astrid Mader

Man kennt diese Form der Lyrik: Gespannt wie ein Seil zwischen zwei Felsen, auf dem Nietzsches Akrobat über einen Abgrund tanzt. Nichts, um daran vorbeizuhasten, eher um zu verweilen, der Vereinigung von Konkretem und Abstraktem nachzufühlen und zu erahnen, was dahinter steckt: „Wortdrähte // Das Runde der Sprache / fließt durch den Gehörgang / in die Kopfhöhle / breitet sich im Bauchraum aus / und bewegt die Herzkammer // Ein einziges gerundetes Wort / verdrahtet sich mit mir“.
So klingt die Lyrik von Sonja Viola Senghaus, deren Machart, Wort für Wort, wohlgesetzt und doch nicht „einfach“ ist. Leichtigkeit besitzen ihre Verse überhaupt nur unter stilistischem Gesichtspunkt. Da stimmt alles: kein Wort zu viel, kein Komma.

Der Rest jedoch ist nicht einfach, „der Rest“, auch wenn man das bei Lyrik, zumal moderner, manchmal meinen möchte, sondern vielleicht doch die Hauptsache. Mal bespiegelt die Sprache der Dichtung Senghaus‘ selbstreflektiv, mal enthüllt der Blick auf den scheinbar so gewohnten Alltag Ungewohntes und Heimlichkeiten, unterschwellig Erahntes, Erhofftes, kurz: eine Welt hinter der Welt, in der Verborgenes blüht.

Untermalt wurde die Rezitation dieser oft aphoristisch kurzen Gedichte bei der Buchvorstellung in der Stadtbücherei Heidelberg durch die eindrucksvolle Aufführung der musikalischen „Zeichen“ von Barbara Heller durch Barbara Rosnitschek (Querflöte) und Dorothea von Albrecht (Violoncello), bei der die Flöte im wahrsten Sinne des Wortes ins Zwitschern geriet, flirrende, in den Ultraschallbereich entfliehende Töne zum Gleißen brachte, sich durch Hohlräume der Luft hindurchschwang und die deutliche Tendenz aufwies, sich selbst durchsichtig zu machen Daneben oder vielmehr darunter klagte das Cello, entließ alle Schwermut der Welt aus dem Resonanzkasten des Klangkörpers, und weil dies noch nicht genug war, steichelte und strich von Albrecht mit ihrem Bogen über die leeren Seiten ihres Instruments und zauberte so merkwürdig angeraute und dennoch transluizide Klänge hervor, die entfernt an ein Flageolett, mehr aber noch an ein leises Säuseln und Rauschen des Windes erinnerten. Kein Zweifel, dass das eine Performance vom Feinsten war, die nicht zuletzt auch die Aufführung von Heitor Villa-Lobos‘ „The Jet Whistle“ sah. Oder in Senghaus‘ Worten: „Vibra contra Bass // Wirbel fingert / an Klangwand / Töne dröhnen / lauthals ins Metall /Poesie ziwscht wie Gischt: Vibra contra Bass“.

i Info: Sonja Viola Senghaus: „Sprachruder“, Gedichte, Wiesenburg-Verlag, Augsburg 2010, 79 Seiten, 15,90 Euro.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.