Kunstraum Wasserturm wird zum „Klang(t)raum“

Literarisch-musikalische Turmbegehung begeistert als „Gesamtkunstwerk“ aus Wort, Ton, Bild und Architektur


Von unserer Mitarbeiterin Elke Seiler

Die Vereinigung aller Künste – Dichtung, Musik, Mimik, Tanz, Malerei und Architektur – zu einem einheitlichen, rauschhaft erlebten Ganzen, das versteht man unter dem Begriff „Gesamtkunstwerk“. Nach Ansätzen im archaischen sakralen Drama und im geistlichen Drama des Mittelalters fand es in den von der Kulissenkunst beherrschten Festspielen des Barocks und in letzter Steigerung – beim Überwiegen des musikalischen Elements – in der Frühromantik seinen Ausdruck.

Im Hockenheimer Wasserturm wurde am Sonntag ein solches „Gesamtkunstwerk“, das genau dieser Definition entsprach – es fehlte nur der Tanz und die Mimik – , gezeigt, man könnte fast schon sagen aufgeführt, denn in gewissem Sinn wurden die verschiedenen Ebenen des Wasserturms auch zur Bühne. Wort, Ton, Bild und Architektur wirkten dabei sinnstiftend zusammen und verwandelten den „Kunstraum Wasserturm“ in einem „Klang(t)raum“. Veranstalter der literarisch-musikalischen Turmbegehung waren die Stadtwerke, deren Leiter Siegfried Ferling der Ideengeberin und Neulußheimer Lyrikerin Sonja Viola Senghaus dankte, das Gemeinschaftsprojekt mit den Künstlern Andreas Rathgeber (Musik), Jutta Hieret-Piosczyk, Caroline Laengerer und Petra Lindenmeyer (Kunst) umgesetzt zu haben und so dem 1909 erbauten 40,7 Meter hohen Wahrzeichen der Stadt (künstlerisches) Leben einzuhauchen.

Das war bereits dem Hockenheimer Kunstverein gelungen, der in Kooperation mit den Stadtwerken und der Künstlergruppe „matériaux amassés“ im September 2005 mit der Wasserturm-Installation „Isolator“ einen großen Erfolg hatte verbuchen können, an den nun die Turmbegehung „Klang(t)raum“ anknüpfte. Der Wasserturm, ein sich etablierender Kunstraum in Hockenheim? Eine Entwicklung, über die man immer wieder sprach und einhellig begrüßte.

Nach einem Sektempfang vor dem Wasserturm zogen „Wasser-/Vogelgeräusche“ (Saxofon) die zahlreichen Besucher hinein in den Turm, den sie während der gut eineinviertelstündigen Begehung bis hinauf zur Spitze neu erleben sollten. Dabei ließ sich die Kunst von den Gegebenheiten eines Wasserturms inspirieren: Vom Wasser zum Licht, weiter hinauf in die Luft – dem Element, in dem bekannterweise die Träume zu Hause sind – ging der Aufstieg. Aufgrund statischer Gegebenheiten (die Treppen in einem Wasserturm sind selbstverständlich nicht für eine Vielzahl von Menschen konzipiert) durfte dieser nur in Zehner-Gruppen erfolgen.

Alles begann mit den „Flusszeichen“ (Ebene 1), mit Klängen auf der Marimbula, mit Gedichten wie „Goldene Wortflüsse“, „Treibholz“ und „Nichts geht verloren“, mit der „Schwemmholzgruppen“-Kunst – einer formierten Kugel, einer Stele, einem Schwemmholz mit Stein und einem Bild aus Papier und Weide – umgesetzt von der Heidelberger Künstlerin Caroline Laengerer.

Dann geleiteten „Lichtzeichen“ weiter nach oben zu den „Flussklängen“ (Ebene 2), zu Saxofon-Tönen, zu Sonja Viola Senghaus‘ Gedicht „Berührung“, das die Heidelberger Künstlerin Petra Lindenmeyer zu den Textilcollagen „Die Flut“, „Zusammenhängen“, „Wogen glätten“, „Auswringen“ und „Überflüssiges tropft ab“ inspiriert hatte.

Zu den „Träumen“ – den fröhlichen („Traumklang“, „Duo für Wind und Flöte“) auch den und beängstigenden („Dramatisches Fragment“, „Stimmen“) – bekamen die Besucher auf der Ebene 3 Zugang, auf der Sonja Viola Senghaus mit dem Gedicht „Willkommen im Kosmos“ begrüßte, auf der Andreas Rathgeber Klavier und Saxofon spielte, auf der die aus dem badischen Weingarten stammende Künstlerin Jutta Hieret-Piosczyk Fotokollagen als visuelle Antwort auf die vorgetragenen Gedichte zeigte.

Und das Ende? Es führte hinaus ins Freie, zu einer bei herrlichem Spätsommerwetter wunderbaren Aussicht auf Hockenheim, begleitet von vogelartigen Saxofontönen, den Gedichten „Rapunzel“ und „Unabhängigkeit“ sowie einer Stimmeninstallation.

Wieder in das Innere des Wasserturms zurückgekehrt, erwartete die Besucher ein kaltes Buffet, bei dem reichlich Gelegenheit bestand, sich über das Erlebte – auch mit den Künstlern selbst – auszutauschen. Die am Ausgang erwünschte Spende kommt dem Förderverein e.V. Kindernotarztwagen Neulußheim zugute.

Schwetzinger Zeitung
02. Oktober 2007

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