Wie Bilder sich in Worte wandeln Vortrag Langenargen 14.7.12

Wie Bilder sich in Worte wandeln

„Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Dieses Sprichwort wird unterstützt durch die Neurowissenschaften und durch entwicklungspsychologische Theorien und Studien. Die besagen: Menschliche Wahrnehmung im Allgemeinen und Bildwahrnehmung im Besonderen basieren in erster Linie auf vorsprachlichen Mustern, auf bestimmten Gefühlen und Symbolen.
Wie nehme ich ein Bild wahr, wie wirkt ein Bild auf mich, was löst es in mir aus? Muss ich ein Bild verstehen, um es in Sprache umzuwandeln?
Wahrnehmung ist nicht passiv, sondern sie ist immer mit einem Tun, einem Handeln verbunden. Sehen ist auch immer Erleben. Der Betrachter erkennt die Motive auf einem Bild nicht nur, er erlebt sie. Ein Kunstwerk ist immer eine Herausforderung für den Betrachter. Das Kunstwerk vermittelt ihm darüber hinaus eine spezifische Stimmung, in die er sich hineinbegibt.
Das Betrachten eines Bildes löst also etwas in ihm aus, d.h. es bewegt die Sinne. Es lässt ihn versinken in Bilder und sinnliche Eindrücke. Er lässt sich auf eine fiktive Welt aus Bilder, Figuren und Gefühlen ein. Das Kunstwerk erschließt sich ihm in seiner heiteren oder düsteren Stimmung über die Farbe und Komposition. Der Betrachter entwickelt dabei selbst Emotionen. Etwas in ihm lacht, wird wütend oder weint. So entstehen ähnlich starke Reaktionen wie beim wirklichen Erleben. Es ist ein sich Versenken in eine fiktive Realität.
Der Dichter versetzt sich in diese Stimmung und bringt durch das Medium der Phantasie die Bilder mit Worten in neue Zusammenhänge. Er bringt seine eigene Wahrnehmung, sein eigenes Gefühl, seine eigene Sichtweise mit ein.
Warum ihn das eine Bild  inspiriert und das andere nicht, kann ich nicht sagen.
Etwas berührt oder bewegt ihn ihm Inneren, und er verspürt den Wunsch, gerade zu diesem Bild den Kontakt aufzunehmen. Es kann die Thematik, die Komposition, das Geheimnisvolle, das Fremdartige, das Unbegreifliche, das Abstoßende oder das Lustvolle sein. Manchmal ist es nur das Farbenspiel selbst, denn die Farbe hat auch im Gedicht eine Symbolik.
Ich stelle Ihnen zwei Gedichtbeispiele dazu vor:
Die Farbe Blau steht für Ferne, Weite, Sehnsucht, Inspiration,
die Farbe Rot für Feuer, Lebenslust und Liebe.
„Ein Blau“
„Lichtwärts“

Sprache verbindet sich also mit Bildern.
Über die Suggestionskraft der Bilder entstehen Assoziationen
zu den Worten.
Bild und Wort stehen im Dialog oder anders ausgedrückt:
Zwischen Lyrik und Malerei entsteht eine Wechselwirkung.
Manchmal gehen Bild und Wort auch eine Symbiose ein.
Dann verweben sich Bild und Text zu einem neuen Schöpfungsakt.

„Der Künstler malt mit Farben, der Dichter malt mit Wörtern.“
Es gibt also Bilder- und Wörterlandschaften.

Um es mit dem Zitat von Simonides von Keos, einem griechischen
Lyriker um 556 vChr – 467 zu sagen:
„Die Malerei ist eine stumme Poesie und die Poesie ist eine redende Malerei.“

Um es mit meinen eigenen Worten zu sagen:
„Malerei“
„Gedichte“

Sonja Viola Senghaus

Was ist ein Gedicht?

“Das Gedicht ist zur Ruhe gekommene Unruhe”

(Rainer Kunze)

Das Gedicht ist die literarische Form, die aus der Lust entspringt so oft wie möglich von vorn zu beginnen. Das Schreiben als „Wegkreuzung der Traumillussionen“ ist Magie in einer der Alltagssprache abweichenden Sprache.

Nicht nur subjektiv, also ein Schreiben für mich selber, sondern, wie Kafka sagte, umgeben von Stimmen und Geistern, den Stimmen der Verborgenen, deren Dasein an verschiedenen Stationen des Schreibens mit ins Leben gerufen wird.
Schreiben ist Ausdruck einer anderen Wahrnehmung, ein Sich-Erinnern, ein Sich Herantasten.
Der Einfall, die Inspiration, lassen die Konzentration und ein Sich Versenken gleichzeitig im dichtenden Menschen stattfinden.

Dem Schreiben geht meistens eine intensive Spannung voraus. Zum einen ist es  das eigene Erleben im Alltag, sind es Träume, Erwartungen, Sehnsüchte und Hoffnungen, zum anderen das Einfühlen in den Erlebnisraum anderer Menschen und Situationen, was das Schreiben zu einem kommunikativen und sozialen Prozess macht.
Das Gedicht zeigt einen seelischen Innenraum. Es kommt dabei auf Inhalt, Aussage und Sprache an. Der Dichter sollte dem Gedicht auch etwas Eigenes geben.
Poesie bedeutet im Französischen, dem Gefertigten eine Stimmung, einen Zauber  verleihen: des Mittels und Mediums der Sprache. Damit ist auch gleich eines der wesentlichen Merkmale der Dichtung genannt, ein Kriterium, durch das sich Dichtung oder Poesie entschieden von anderen künstlerischen Ausdrucksweisen abgrenzt, etwa von der Malerei, die es mit Farben und Formen zu tun hat, oder von der Musik, deren künstlerische Materialien Töne, Klänge und Rhythmen sind. Das soll nicht bedeuten, dass Rhythmen, Töne und Farben in der Dichtung keine Rolle spielen.
Nur sind sie hier ausschließlich an Wort und Sprache gebunden.

Der Dichter will Erlebnisse anschaulich machen, sich durch Sprache mitteilen.
Die Mehrzahl der Dinge, die er zur Sprache bringt, Fragen, die er aufwirft, Probleme, die er zur Diskussion stellt, sind alt wie die Welt. Indessen dadurch, dass er sie unter neuem Blickwinkel, in neuem Licht, unter neuen Aspekten, die der Zeit, in der er lebt, ihm eingibt, vorstellt, bekommen sie neues Gewicht, gehen wieder an, erregen wieder, fordern heraus.

„Es gibt Verse, die man findet. – Die anderen macht man. –
Man vervollkommnet diejenigen, die man findet. –
Die anderen ’naturalisiert‘ man.“ (Paul Valéry).
Man schreibt aber nicht nur das, was kommt, nämlich im Suchen, Finden und Machen, man schreibt auch, was man schreiben möchte, im Planen und Konstruieren.
Die wichtigste Feststellung aber, die Horaz im Blick auf Literatur machte, war,
dass die Dichter, entweder „nützen“ (prodesse) oder „erfreuen“ (delectare) wollen.

Sonja Viola Senghaus

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